Case-based Reasoning: Was ist das eigentlich?

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Menschen lösen Probleme oder Herausforderungen in Beruf – ganz gleich, ob Mediziner, Juristen oder Servicetechniker – meistens dadurch, dass sie sich an eine vergangene ähnliche Situation erinnern und die damalige Lösung auf die aktuelle Situation übertragen. Genau diese Fähigkeit, in Verbindung mit der Kenntnis vieler Beispiele aus einem langen Berufsleben, macht menschliche Erfahrung aus.

Case-based Reasoning (dt. fallbasiertes Schließen, CBR) ist die Technologie aus der künstlichen Intelligenz, die einem System die Fähigkeit verleiht, genau dieses Verhalten nachzubilden. Wie ein Mensch wendet CBR bereits vorhandene, ähnliche Lösungen auf neue Situationen an. Bewährte Lösungen werden durch CBR innerhalb einer Gruppe geteilt – passgenau für die jeweilige Situation. Damit bildet CBR die Vorgehensweise von erfahrenen Experten ab, die auch mit Ausnahmen und ungewohnten Situationen zurechtkommen, ohne über präzise Regeln zu verfügen.

Warum ist das wichtig? Was ist der Sinn?

Es gibt Probleme, Situationen und Informationsbedarfe, die so häufig auftreten, dass die exakte Lösung bekannt ist. Genauso gibt es manchmal neue Situationen, die eine neue Lösung und viel Kreativität erfordern. Zwischen diesen beiden Extremen liegt der Regelfall, d. h. nicht völlig neu, aber auch nicht genau das Übliche. Dies sind die Fälle, die im betrieblichen Alltag die meisten Ressourcen binden und für die CBR die ideale Unterstützung ist.

Durch die Abbildung von Ähnlichkeit wird der Computer in die Lage versetzt, den Benutzer auf ähnliche Situationen hinzuweisen. Der Computer ermöglicht dem Benutzer, das Wissen aus früheren Vorfällen im richtigen Moment anwenden zu können, gemäß dem Motto „Ähnlichkeiten sind die Voraussetzung zum Verstehen der Welt“.

Wie ist diese Idee entstanden?

Das Modell von CBR geht auf Arbeiten von Roger Schank und seinen Studenten an der berühmten Yale University zurück. Roger Schank ist ein amerikanischer Theoretiker der künstlichen Intelligenz und Kognitionspsychologe, der im Bereich der kognitiven Wissenschaften sich mit dem episodischen Gedächtnis beschäftigte.

Schank und seine Kollegin Janet Kolodner beobachteten in ihren Experimenten, dass Experten, wie beispielsweise Ärzte oder Anwälte, ihr Wissen und ihre Erfahrung nicht wie erwartet in Form von WENN-DANN-Regeln, sondern in Form von konkreten Episoden (Fallbeispielen) speicherten. Für ein neu auftretendes Problem nutzen sie genau diese gespeicherten Episoden zur Problemlösung. Sie erinnerten sich an ähnliche Fälle aus der Vergangenheit und übertrugen die erfolgreiche Problemlösung einfach auf den aktuell vorliegenden Fall. Menschen lösen Probleme meistens dadurch, dass sie sich an eine vergangene ähnliche Situation erinnern und die damalige Lösung auf die aktuelle Situation übertragen. Mediziner, Juristen oder Servicetechniker: Genau diese Fähigkeit, in Verbindung mit der Kenntnis vieler Beispiele aus einem langen Berufsleben, macht Erfahrung aus.

„Alles was wir haben sind Geschichten, und Methoden, diese Geschichten zu finden und zu nutzen.“ (aus: „Knowledge and Memory: The Real Story, Schank, Abelson, 1995)

Das war eine völlig neue Erkenntnis. Wenn Menschen damit in der Lage wären, wirklich komplexe Probleme schnell und sicher zu lösen, müsste sich dieses Verfahren doch auch auf einen Computer übertragen lassen. Die beiden Wissenschaftler nannten ihren Ansatz CBR.

Deutsche CBR-Pioniere in Kaiserslautern

Im Frühsommer 1987 stieß Klaus-Dieter Althoff, damals Mitarbeiter am DFG-Sonderforschungsbereich 314 im Gebäude 14 am Lehrstuhl Expertensysteme/DFKI auf diese Artikel in der Fachzeitschrift „KI – Künstliche Intelligenz“ und war sofort angesteckt. Wenn es gelänge, diesen theoretischen Ansatz aus der Cognitive Science in praktisch anwendbare Computerprogramme zu implementieren, so wäre dies eine Revolution in der Technologie der Expertensysteme.

Zusammen mit mehreren Studenten und dem Mathematiker und weltweit renommierten Logiker, Professor Michael M. Richter, wurde die Idee weiterentwickelt und ein neuer Forschungszweig geboren.

Über sehr viele Studien-, Projekt- und Diplomarbeiten, Promotionen, großen Forschungsprojekten der Europäischen Union z. B. INRECA I + II und in Zusammenarbeit mit sehr vielen Partnern, auch dem Fachbereich Maschinenbau der TU, wurde ganz langsam aus einer ganz vagen Idee eine ganz reale Software. Diese konnte an konkreten Problemen der Industrie wie z. B. der Diagnose von CNC-Werkzeugmaschinen oder der Diagnose von Flugzeugtriebwerken erfolgreich erprobt werden.

Bereits 1993 fand die erste europäische „Case-based Reasoning Konferenz“ in der Nähe von Kaiserslautern statt. 1997 erhielt Empolis für die CBR-Software den Innovationspreis des Landes Rheinland-Pfalz, die erste in einer ganzen Reihe von Auszeichnungen für das Unternehmen, das zu den CBR-Pionieren gehört. CBR-Works war eines der ersten kommerziellen CBR-Werkzeuge am Markt. Damit blickt Empolis auf eine mehr als 30-jährige Erfahrung zurück. Eine Vielzahl von Anwendungen in den verschiedensten Anwendungsbereichen ist in dieser Zeit entstanden.

Wo wird CBR angewendet?

CBR kann bspw. in der Wartung von Maschinen und Anlagen Wissens- und Servicesystemen eingesetzt werden, ohne zusätzlichen Modellierungsaufwand anwendbar. Über das Expertenwissen hinaus können mittels CBR Entscheidungen bereits auf Basis von Maschinenzustandsdaten – auch unter Einbeziehung von anderen Informationsquellen wie beispielsweise Ticket-Systemen – getroffen werden, ohne dass menschliches Erfahrungswissen benötigt wird. Das ist von entscheidender Bedeutung, da die Erkennung von komplexen Vorfällen oft von so vielen Ereignissen abhängt, dass eine manuelle, regelbasierte Modellierung hierfür viel zu aufwendig, zu schwierig oder gar unmöglich wäre. CBR erlaubt die Früherkennung von Störungen, bevor es zu einem größeren Schaden kommt. Ein solches System ist in der Lage, die Ursache einer Störung durch graduelles Eingrenzen der Fehlerquelle rasch zu identifizieren.

Case-based Reasoning ermöglicht somit eine frühzeitige Fehlererkennung und Problemlösungsfindung auf Basis ähnlicher Vorfälle in der Vergangenheit. Ad-hoc werden Rückschlüsse zur wahrscheinlichsten Ursache generiert, um die Ergebnismenge sukzessive einzuschränken.