Healthcare Analytics in der Medizin

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Jeden Tag fallen weltweit Millionen von medizinischen Datensätzen an, beispielweise in Form von Befunden oder Arztbriefen. So wird jeder Befund von bis zu 32 Personen gelesen und verarbeitet. Nach Abschluss der Behandlung landet der Datensatz in einem Archiv, welches auch im Jahre 2018 häufig nur in Form von Papierakten existiert. Aus digitalen Daten werden analoge Akten oder im besten Fall unwirtliche und unstrukturierte Datenberge. Mit der Archivierung verschwinden diese Informationen aus dem Blickfeld und werden höchstens noch von Medizinstudenten im Rahmen einer Dissertation gehoben und analysiert.

Man stellt sich unweigerlich die Frage, was man mit diesen Daten noch anfangen könnte. Welche Informationen verstecken sich in diesem Datenschatz und welche Erkenntnisse und möglicherweise Handlungsanweisungen könnte man daraus ableiten? Wie lässt sich die Diagnose und Behandlung verbessern? Welche Rahmenbedingungen setzt der Datenschutz?

Datenanalysen von „klein“, über „mittel“ bis „groß“

Geht man klein an diese Aufgabe heran, würde man wahrscheinlich einen einzelnen Befund oder Arztbrief analysieren. Die möglicherweise zusätzlich gewonnen Erkenntnisse hätten Auswirkungen auf die Behandlung des jeweiligen Patienten. Allerdings ist es recht unwahrscheinlich, dass sich neue versteckte Erkenntnisse in einzelnen Arztbriefen oder Befunden finden lassen. Der Mediziner hat mit hoher Wahrscheinlichkeit alles benannt, was zu benennen ist. Hat er etwas vergessen zu notieren oder übersehen, kann dies auch die beste Maschine nicht herleiten. Möglich ist es aber, den Arzt bei der Erstellung von Befunden zu unterstützen und ihm Hilfestellung zu geben, wenn er bestimmte üblicherweise zu nennende Sachverhalte versehentlich auslässt.

Erweitert man den Horizont, denkt also mittelgroß, und setzt den einzelnen Befund in Relation zur Krankengeschichte eines Patienten, könnten sich durchaus neue Erkenntnisse ergeben. Mit bestimmten Vorkenntnissen aus der Krankengeschichte, kann sich die aus einem Befund hergeleitete Behandlung ganz anders darstellen. Wie wir später noch sehen werden, ist es leider nicht so einfach, die Krankengeschichte eines Patienten auch bei gutem Willen aller Beteiligten lückenlos aufzuzeichnen, geschweige denn zu analysieren.

Betrachtet man die medizinischen Daten mit einem Blick auf das große Ganze, also z.B. alle radiologischen Befunde von Schädel-CTs einer Klinik über die Zeit, kann man retrospektiv beispielsweise die Gründe für Untersuchungen, also die Indikation, in Relation zur Beurteilung der Untersuchungsergebnisse setzen. Womöglich erkennt man dann, dass bestimmte Indikationen in der überwiegenden Mehrzahl zu nicht benötigten Untersuchungen geführt haben. Die Analyse von großen Datenmengen, Big Data, über die Zeit erlaubt u.a. auch ein Verständnis der Informationen ohne direkte Kenntnis personenbezogener Daten. Eine Anonymisierung von Befunden oder Arztbriefen tut in diesem Fall dem Erkenntnisgewinn üblicherweise nicht im Wege stehen.

Die Erkrankung als Fall

Im medizinischen Alltag werden Untersuchungen als einzelne in sich abgeschlossene Fälle betrachtet. Selbst die Krankengeschichte eines einzelnen Patienten ist in aller Regel nicht in einer einzigen Akte vorhanden, sondern über Fachärzte und Krankenhäuser verteilt. Nun könnte man meinen, dass es zumindest theoretisch die Möglichkeit geben müsste, anhand einer Krankenkassen-ID diese Daten zusammen zu führen. Lässt sich allerdings ein gesetzlich Versicherter privat behandeln oder ist er im Rahmen eines Betriebsunfalls in einer Notaufnahme eingeliefert worden, entstehen Fälle ganz anderen Typs. Im ersten Fall spielt die Krankenversicherung keine Rolle, im zweiten Fall ist die Berufsgenossenschaft der primäre Ansprechpartner.

Krankenhausinformationssysteme (KIS) erlauben zwar teilweise Datensätze zu einem Patienten zusammenzuführen, aber das nur auf explizite Anfrage des Benutzers. Oft genug bleibt in einer Notaufnahme gar keine Zeit, um zu prüfen, ob es den Patienten schon im KIS gibt und man den neuen Fall diesem Bestandspatienten zuweisen kann oder ihn neu anlegt. Aus Gesprächen mit Medizinern wissen wir, dass üblicherweise neue Fälle angelegt werden und ein Zusammenführen zu einem Patienten nicht oder nur sehr selten stattfindet.

Da seit 2004 die Abrechnung von stationären und teilweise auch teilstationären Behandlungsleistungen über Fallpauschalen nach dem Klassifizierungssystem G-DRG (German Diagnosis Related Groups) abgedeckt wird, ist es für die Betreiber von Krankenhäusern oft auch gar nicht notwendig, die einzelnen Fälle eines Patienten zusammenzuführen. Im Mittelpunkt steht nur der aktuelle Fall, die Historie ist – betriebswirtschaftlich betrachtet – zweitrangig.

Der Weg hin zu einer elektronischen Patientenakte (ePA) ist noch lang. Eine Studie des Bitkom und der Bayerischen TelemedAllianz ergab im März 2017, dass 66% der Deutschen eine ePA nutzen würden. Ein halbes Jahr späte ergab eine Befragung der AOK unter gesetzlich Versicherten, dass sogar 78% der Befragten eine ePA nutzen würden und 77% der Befragten idealerweise auch selber bestimmen möchten, welche Ärzte Zugriff auf die Daten in Ihrer ePA haben. Die Realität sieht freilich noch anders aus. Der Bitkom hat in einer aktuellen Umfrage herausgefunden, dass 47% der Ärzte für ihren Schriftverkehr (z.B. Arztbriefe) noch Stift und Papier verwenden und 34% gar eine Patientenakte in Papierform vorhalten.

Gemäß dem 2015 verabschiedeten E-Health-Gesetzt, ist die elektronische Patientenakte als zentraler Bestandteil der Telematikinfrastruktur genannt worden. Ab 2019 soll die ePA demnach gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen. Zugriff sollen dann jedoch nur Ärzte darauf haben. Dabei ist zu beachten, dass bisher keinerlei Konkretisierungen von Seiten des Gesetzgebers gemacht wurden, wie einrichtungsübergreifende Patientenakten aussehen könnten. Diese Unsicherheit führt indes primär dazu, dass sich eine ganze Reihe von Akteuren im Gesundheitswesen mit der ePA beschäftigen und eigene Lösungen entwickeln.

Es bleibt die Erkenntnis, dass es derzeit schwierig bis unmöglich ist, die Krankengeschichte einzelner Versicherter im Ganzen zu analysieren und somit Entscheidungsunterstützung bei neuen Fällen denselben Patienten betreffend zu geben.

Think Big – Die retrospektive Sicht auf die Daten

Wie wir zuvor gesehen haben, ist die gezielte Verarbeitung von Patientendaten (z.B. in Form einer ePA) bisher quasi unmöglich. Wie sich die Rahmenbedingungen in einigen Jahren darstellen werden, kann man bisher nicht abschätzen. Somit bietet sich aktuell beispielweise die anonyme Verarbeitung großer Datenmengen an.

Die retrospektive Betrachtung von Daten ist eine vielversprechende Möglichkeit, aus Erkenntnissen, die Vergangenheit betreffend, Handlungsempfehlungen für die Zukunft abzuleiten. Mit Hilfe der Empolis Healthcare Analytics Cloud und dem darin eingebauten Natural Language Processing (NLP) ist es beispielsweise möglich, die radiologischen Befunde eines Krankenhauses der letzten Jahre en-Block zu analysieren und darauf aufbauend mit Hilfe geeigneter Tools statistische Auswertungen durchzuführen. Dies ermöglicht es dann, spezifische Fragestellungen zu beantworten, wie beispielsweise: „Wie hat sich das Indikationsspektrum verändert?“, „Gibt es bestimmte Häufigkeiten zu bestimmten Jahreszeiten?“, „Haben sich die Beurteilungen für bestimmte Indikationen im Laufe der Zeit verändert?“, „Welche Schlüsse und Handlungsempfehlungen kann man daraus herleiten?“

Medizinische Texte werden in der HealthcareAnalytics Cloud mit Fachtermini annotiert. Dazu wird unter anderem die RadLex eingesetzt, bei der es sich um eine kontrollierte Terminologie für die Radiologie handelt. Sie vereinheitlicht und ergänzt andere Standards und Lexika. Aber auch zusätzliche Informationen wie beispielweise das Geschlecht, die Vorlage eine Voruntersuchung oder die Gabe von Kontrastmitteln werden abgedeckt.

Think Small – Unterstützung zur Qualitätssicherung und Befundung

Obwohl die ganz großen Ansätze, wie eine ePA weiter auf sich warten lassen, bedeutet dies nicht, dass es nicht möglich ist, NLP im medizinischen Alltag einzusetzen. Wenn anstelle der retrospektiven Betrachtung beispielsweise die weitere Verarbeitung von medizinischen Texten vereinfacht werden soll, ist es möglich, einzelne Befunde, Laborberichte, Arztbriefe etc. in Echtzeit während des Verfassens durch die Healthcare Analytics Cloud zu verschlagworten. Solcherart angereicherte Texte lassen sich leichter und gezielter Weiterverarbeiten und vor allem bei Bedarf auch wiederfinden. Im Folgenden zwei Anwendungsfälle, die somit möglich werden.

RadLex-Annotation zur Qualitätssicherung

Durch eine geeignete Annotation von Befunden mittels RadLex, kann eine prospektive Qualitätssicherung durch Vollständigkeitsprüfung aufgebaut werden. Wenn das System, mit dem der Arzt arbeitet, Regeln auf den im Text erkannten Sachverhalten ausführt, kann beispielweise geprüft werden, ob bei Nennung eines bestimmten Symptoms ein bestimmter weiterer Sachverhalt ebenfalls erwähnt wurde, beispielsweise: “Die Patientin klagt über Kurzatmigkeit. Wurde die Lunge auf Abschattungen untersucht?“, „Es wurde eine Voruntersuchung erwähnt, aber kein Datum dafür angegeben.“ oder „Es wurde Kontrastmittel gegeben, die Untersuchungsart ist aber CT anstatt CTA.“

ICD- und OPS-Kodierung zur Abrechnungsunterstützung

Eine weitere Möglichkeit des Einsatzes von NLP ist es, schon bei der Erstellung eines Dokuments mögliche ICD – oder OPS -Codes zu bestimmen, um die spätere Weiterverarbeitung und Abrechnung zu erleichtern. Dies ist insofern vor dem Hintergrund der G-DRG interessant, da diese wiederum auf der ICD-10-GM und OPS basiert. Die Zuordnung einer Fallbauschale nach G-DRG zu einem Fall basiert auf den während eines Behandlungsverlaufs erstellten Befunden und Falldaten. Diagnosen und Prozeduren werden dabei von Fachkräften anhand der medizinischen Klassifikationen ICD-10-GM und OPS kodiert und zur Abrechnung eingereicht. Durch die Unterstützung der Kodierung durch intelligente Systeme werden Kodierfachkräfte entlastet, Standardfälle schneller abgearbeitet und zur Abrechnung gebracht und die Abrechnung von komplizierten Fällen erleichtert. Die Healthcare Analytics Cloud fungiert dabei als eine Art First Reader, der nie Müde wird und mit einer gleichbleibend hohen Qualität arbeitet.

Datenschutz: Wichtig aber kein Hindernis

Medizinische Daten sind üblicherweise auch personenbezogene Daten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Diskussion rund um die Verarbeitung medizinischer Daten stark geprägt ist, vom Ruf nach hohen Datenschutzstandards. Diese an sich valide Forderung sorgt in Verbindung mit der DSGVO für Unsicherheit auf Seiten der Datenerzeuger. Was ist erlaubt? Was muss berücksichtigt werden? Welche Daten dürfen wo und wie verarbeitet werden?

Die Analyseergebnisse der Empolis Healthcare Analytics Cloud sind prinzipbedingt immer anonym und zwar auch dann, wenn die ursprünglichen Daten nicht zwingend anonym waren. Bei den extrahierten Daten handelt es sich um allgemeine medizinische Fakten, die für einen Patienten sowohl einzeln, als auch in Kombination nie einmalig vorkommen und somit auch nicht identifizierend sind. Somit sind Rückschlüsse auf einzelne Personen nicht möglich.
Im Grunde genommen kann man pauschal sagen: Ja, es ist möglich, medizinische und somit personenbezogene Daten auch von Dienstleistern verarbeiten zu lassen. Vor dem Hintergrund der DSGVO und evtl. landesdatenschutzrechtlichen Besonderheiten sind dabei einige Punkte zu beachten, die wir in einem späteren Artikel näher beleuchten werden.

Fazit

Weltweit werden täglich immense Mengen an medizinischen Daten produziert, die in den meisten Fällen rein zur Behandlung des jeweiligen Patienten genutzt werden. Eine weitergehende Nutzung für die Qualitätssicherung, Forschung, Lehre und Verbesserung der Patientenversorgung findet nicht oder nur sehr selten statt, zumal es schwierig ist, die unterschiedlichen Datenquellen zu integrieren. Die elektronische Patientenakte soll diese Probleme teilweise lösen, ist aber zumindest hier in Europa noch nicht in Sicht, mit Ausnahme von einigen wenigen Insellösungen als Kooperation von Krankenhäusern und Krankenkassen. Dennoch sind die vorhandenen und täglich neu produzierten medizinischen Daten ein wertvoller Schatz, der zugänglich gemacht werden kann. Lassen Sie uns daher klein anfangen und NLP-Lösungen auf Ihren Daten etablieren, um beispielsweise die Qualität zu verbessern, die Befundung und Abrechnung zu erleichtern oder Empfehlungen für die Zukunft zu geben.

Mittels Natural Language Processing in der Empolis Healthcare Analytics Cloud können wir Ihnen Entscheidungsunterstützung bieten, sei es prospektiv bei der Verarbeitung aktueller Falldaten oder restrospektiv, bei der Analyse Ihres Datenarchivs.

Der Datenschutz spielt in diesem Rahmen zwar eine große Rolle, ist aber im Gegensatz zur verbreiteten Meinung kein Ausschlussgrund für die Verarbeitung medizinischer Texte vor Ort oder in der Cloud. Durch geeignete Verträge (Data Transfer Agreement bzw. Auftragsverarbeitung) oder Unterstützung bei der Anonymisierung von Befunden kann dem Datenschutz in vollem Umfang Rechnung getragen werden.